Zur Ausstellung
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Eine Ausstellung von Kunstsammlung und Archiv in Kooperation mit der Graphischen Sammlung ETH Zürich
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Gesamtleitung:Cosima Rainer
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Kuratorisches Team:Stefanie Kitzberger und Robert Müller in Kooperation mit Alexandra Barcal (Graphische Sammlung ETH Zürich)
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Ausstellungsorganisation:Judith Burger, Laura Egger-Karlegger
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Gestaltung:Robert Müller
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Recherchen und Begleitheft:Laura Egger-Karlegger, Stefanie Kitzberger, Eva Marie Klimpel, Ursula Prokorny, Robert Müller
Abbildungen
Text
Die Ausstellung Lill Tschudi – Franz Čižek. A delightful sort of game ermittelt Verhältnisse von künstlerischer Praxis und Lehre im 20. Jahrhundert, indem sie zwei Figuren auf besondere Weise in Dialog setzt. Im Zentrum der Zusammenstellung steht das druckgrafische Werk der Schweizer Künstlerin Lill Tschudi (1911–2004), das im Rahmen einer Kooperation der Angewandten mit der Graphischen Sammlung ETH Zürich erstmals in Österreich gezeigt wird. Die Wiener Schau erweitert diese monografische Perspektive, indem sie Bezüge von Tschudis Arbeiten und den Beständen aus Kunstsammlung und Archiv, die die Reformpädagogik des in Wien lehrenden Künstlers Franz Čižek (1865–1946) dokumentieren, untersucht.
Tschudi und Čižek werden als exemplarische künstlerische Positionen im Europa der Zwischen- und Nachkriegszeit betrachtet, in der sich Aspekte der angewandten und bildenden Kunst sowie von Abstraktion und Figuration gegenseitig durchdringen. Sowohl Tschudis künstlerische Arbeiten als auch Čižeks Pädagogik sind mit der Entwicklung des modernen Farbdrucks ebenso wie mit Reformtendenzen in Gesellschaft und Pädagogik und der Entdeckung der „Kunst der Kinder“ um 1900 verknüpft. Lill Tschudi studierte 1929 an der Londoner Grosvenor School of Modern Art bei dem britischen Künstler Claude Flight (1881–1955) Linolschnitt. Flight integrierte nach einer persönlichen Begegnung mit Čižek dessen Ansätze in den eigenen Unterricht. In der Einleitung seines 1934 erschienenen Buchs The Art and Craft of Lino Cutting and Printing, das er mit Linolschnitten von Kindern und Arbeiten seiner Studierenden gleichermaßen illustrierte, nennt er Čižeks Arbeitsweise als Vorbild für eine vom künstlerischen Tun von Kindern abgeleitete Suche nach Ausdruck und „emotionaler Organisation“. Čižeks Haltung und Arbeitsmethoden in seiner zwischen 1903 und 1906 in die Wiener Kunstgewerbeschule eingegliederten Jugendkunstklasse gewannen insbesondere im angloamerikanischen Raum früh an Ansehen; in zahlreichen internationalen Wanderausstellungen gingen Arbeiten seiner Schüler:innen auf Tournee. Die Klasse war darauf ausgerichtet, Kinder und Jugendliche in unterschiedlichsten Techniken und Materialien zu unterrichten sowie in gemeinsamen Besprechungen die eigene kreative Entfaltung zu ermöglichen.
Die Ausstellung untersucht den neuen Status der künstlerischen Arbeit von Kindern als eigenständige, vorbildhafte und ausstellungswürdige Praxis und die Funktion vergleichsweise einfacher Techniken wie die des Linolschnitts, wie sie in Čižeks und Flights Lehre sowie in Tschudis künstlerischer Praxis etabliert und genutzt wurden, in ihrem Verhältnis zu gesellschaftlichen Transformationen und künstlerischen Neuerungen. Neben der Relevanz publizierter Druckgrafiken für Tschudis Entwicklung – etwa jene von Norbertine Bresslern-Roth (1891–1978), deren Tierdarstellungen sie von einer Ausstellung im zoologischen Garten Antwerpen kennt und später über die Zeitschrift The Studio rezipiert – und dem Kontext der Wiener sozialdemokratischen Bildungsreform interessieren mögliche „stilistische Ansteckungen“ (Barbara Wittmann), Verwandtschaften und Übersetzungen, die der institutionellen Umgebung der Jugendkunstklasse geschuldet waren. Das Interesse Čižeks für sogenannte Volkskunst oder die Druckgrafik der Wiener Werkstätte überschnitt sich beispielsweise mit einer von ihm angeregten eklektischen Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Avantgardebewegungen wie dem Futurismus oder dem Kubismus, über die sich die Studierenden seiner Kurse für Ornamentale Formenlehre Problemen von Bewegung, Raum und Zeitlichkeit näherten. Vergleichend wird nach der Rolle des britischen Vortizismus für die Grosvenor School für das etwa 450 Linolschnitte umfassende Werk Lill Tschudis gefragt, welches häufig dynamischen Darstellungen großstädtischer Alltagszenen, Sport- und militärische Sujets zeigt.
In der Ausstellung Lill Tschudi – Franz Čižek. A delightful sort of game werden solche personellen, historischen und formalen Bezüge zwischen Lill Tschudis und Franz Čižeks Praktiken mittels spielerischer Schichtungen und Querschnitte lesbar gemacht und in ihrem Verhältnis zu internationalen Formationen und Fragestellungen der Moderne diskutiert.
Die Ausstellung bezieht sich auf die Schau Lill Tschudi. Die Faszination des Linolschnitts 1930–1950, die 2021–22 an der Graphischen Sammlung ETH Zürich zu sehen war.
Programm
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Eröffnung
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Kurator*innen-Führungmit Stefanie Kitzberger und Robert Müller
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Bewegtes Gespräch: Frauenkunst, Schulkunst oder Avantgarde?Monika Platzer (Leitung Sammlung und Kuratorin, Architekturzentrum Wien) im Gespräch mit Stefanie Kitzberger und Robert Müller Veranstaltung im Rahmen der Vienna Art Week
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Franz Čižek – Spielräume der KunstVortrag von Rolf Laven (Hochschulprofessor, lehrt und forscht an der Angewandten, der Bildenden und an der Pädagogischen Hochschule Wien), anschließend Gespräch mit Bernadette Reinhold (Kunstsammlung und Archiv). Veranstaltung im Rahmen der Vienna Art Week
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Führung für Kinder und Jugendlichemit Laura Egger-Karlegger und Eva Marie Klimpel
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Kurator*innen-Führungmit Stefanie Kitzberger und Robert Müller
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The Spectacle of the Everyday – Die Schweizer Künstlerin Lill Tschudi und der moderne LinolschnittVortrag von Alexandra Barcal (Graphische Sammlung ETH Zürich)
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Kurator*innen-Führungmit Stefanie Kitzberger und Robert Müller
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Performance von Sara Lannerwww.saralanner.at
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Bedeutungsvolle Kritzeleien. Eine Kultur- und Wissensgeschichte der Kinderzeichnung (Arbeitstitel)Vortrag von Barbara Wittmann (Professorin für Kunstwissenschaft und Ästhetik, Universität der Künste Berlin)
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Nachrichten aus der PraxisJutta Zimmermann und Thomas Hesse im Gespräch